Das Phänomen der Unfähigkeit
Unfähigkeit können wir überall beobachten. Es gibt unfähige Lehrer, unfähige Richter, Beamte, Handwerker, Ärzte oder Manager. Unfähigkeit ist nicht auf einen bestimmten Beruf beschränkt. Dabei erwecken unfähige Menschen, besonders wenn sie auf einer höheren Stufe der Hierarchie stehen, oft den Eindruck, als ob sie stets genau wüßten, was sie tun und daß sie stets das Richtige täten.
Bei näherem Hinsehen stellt man jedoch fest, daß sie keine Ahnung von ihrer eigentlichen Aufgabe haben und sich in Nebensachen verlieren oder daß sie grandiose Fehlentscheidungen treffen, die oft genug nur deshalb nicht zu ihrer katastrophalen Wirkung kommen, weil der unfähige Chef fähige Mitarbeiter hat, die seine Entscheidungen in die richtigen Bahnen lenken, ohne daß er es merkt.
Peter hat viele Beispiele
für das Phänomen der Unfähigkeit gesammelt und analysiert.
Dabei stellte er fest, daß alle Fälle gewisse Gemeinsamkeiten
aufwiesen. Alle Personen, die er beobachtete. waren in einer Position,
die sie voll und gut ausfüllten. Weil sie sich als fähig erwiesen,
wurden sie befördert und nahmen dann eine Stellung ein, für die
sie unfähig und ungeeignet waren. Aus diesen Beobachtungen von vielen
hundert Fällen formulierte Peter sein Prinzip:
In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte
dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.
Diesem Prinzip kann sich im Grund niemand entziehen, weil wir alle in einer Hierarchie eingezwängt sind. Hierarchie ist die Umschreibung der Führungsstruktur einer Organisation, meist dargestellt in Form einer Pyramide, wobei jeder in dieser Organisation Beschäftigte innerhalb der Pyramide einen bestimmten Rang, eine bestimmte Position einnimmt. Die Fähigkeit, mit der ein Mitarbeiter seine Position ausfüllt, qualifiziert ihn zum Aufstieg in die nächsthöhere Position. Doch - genügend Rangstufen innerhalb der Hierarchiepyramide vorausgesetzt - kommt jeder Mitarbeiter mit jeder weiteren Beförderung irgendwann einmal in eine Position, in der er eindeutig überfordert ist. In dieser Position verharrt er dann, weil er sich für einen weiteren Aufstieg nicht qualifizieren kann. Peter folgert daraus:
Nach einer gewissen Zeit wird jede Position von einem Mitarbeiter besetzt, der unfähig ist, seine Aufgaben zu erfüllen.
Natürlich erreicht nicht jeder zur gleichen Zeit seine Stufe der Unfähigkeit, der lnkompetenz. Mitarbeiter, die diese Stufe noch nicht erklommen haben, leisten noch etwas, also:
Die Arbeit wird von den Mitarbeitern erledigt, die ihre Stufe der Inkompetenz noch nicht erreicht haben.
Man hat keine große Mühe, Beispiele für Peters Grundsätze in der Praxis zu finden:
Ein Lehrer wird befördert, weil er ein besonders guter Pädagoge ist. Eines Tages wird er Schulrat. Hier versagt er, weil er zwar der gute Pädagoge, nicht aber der gute Verwaltungsmann ist.
Derjenige, der in einer Abteilung seine sachbezogenen Aufgaben bestens erfüllt, wird zumAbteilungsleiter befördert. Er versagt, weil er nicht in der Lage ist, Menschen zu führen.
Beide haben die Stufe ihrer
lnkompetenz erreicht, an sich fähige Mitarbeiter - jeder am richtigen
Platz - vergrößern durch ihre Beförderung das Potential
der Unfähigkeit. Nach dem Peter-Prinzip: ,,Blicken Sie in den Spiegel
und fragen Sie sich, ob..."
Abweichungen
Peters Erklärung für das Phänomen der Unfähigkeit ist einfach, plausibel und logisch. Dennoch mag es Fälle geben, wo das Prinzip offenbar nicht funktioniert. Auch diesen nur scheinbaren Abweichungen ist Peter nachgegangen und hat festgestellt, daß auch sie aus seinem Prinzip heraus erklärt werden können und dem Prinzip unterworfen sind. Peter unterscheidet an scheinbaren Abweichungen:
1. Die geräuschlose Sublimierung:
Es handelt sich um eine
Pseudobeförderung. Der Chef hat die Unfähigkeit eines Mitarbeiters
erkannt und versetzt ihn auf einen anderen Posten, auf dem er genauso unproduktiv
ist. Der Beobachter außerhalb der Hierarchie wird getäuscht,
andere Mitarbeiter sehen in der geräuschlosen Sublimierung ein Stimulanz
(,,wenn der befördert wurde, habe ich auch noch Chancen").
2. Die seitliche Arabeske:
Sie ist auch eine Pseudo-Beförderung.
Ein unfähiger Mitarbeiter bekommt den Titel eines Vize-Präsidenten
und den Auftrag, die Firmengeschichte zu schreiben. Peters Schlußfolgerung:
je größer die Hierarchie, um so einfacher ist die seitliche
Arabeske.
3. Peters Umkehrung:
Peter beobachtete, daß
besonders kleine Beamte und Angestellte ohne Entscheidungsbefugnisse geradezu
versessen darauf sind, alles korrekt ohne die geringste Abweichung von
der Routine zu erledigen, ohne sich zu fragen, ob das irgendeinem vernünftigen
Zweck dient. Er nennt diese Mitarbeiter, denen die Mittel wichtiger sind
als das Ziel, Berufsautomaten. Nun wird die Befähigung eines Mitarbeiters
von dessen Vorgesetztem und nicht von einem Außenstehenden beurteilt.
Arbeitet der Mitarbeiter korrekt, gehorcht immer und entscheidet nie, so
gilt er als befähigt, weil die Zusammenarbeit mit ihm klappt, unabhängig
davon, ob er effektiv etwas leistet. Peter nennt dies Umkehrung bzw. Inversion,
weil das Verhältnis zwischen Mittel und Zweck umgekehrt wird.
4. Ausschluß aus der Hierarchie:
Manchmal ist zu beobachten,
daß besonders fähige Mitarbeiter nicht befördert, was eigentlich
zu erwarten wäre, sondern im Gegenteil entlassen werden. Peter erklärt
dieses Paradoxon so, daß Super-Kompetenz anstößiger ist
als lnkompetenz. Super-Kompetenz gefährdet die Hierarchie. Der Superkompetente
wird daher genauso ausgestoßen wie der absolut Unfähige. In
beiden Fällen handelt es sich um Extreme, die von der Hierarchie nicht
akzeptiert werden können.
5. Der paternalistische Zugang
Hier handelt es sich um
eine Eigentümlichkeit von Familienunternehmen. Der Sohn des Unternehmers
dient nicht von der Pike auf, um dann das Oberkommando zu übernehmen,
sondern er steigt gleich oben ein, überspringt also gewissermaßen
einige Klassen. So erreicht er nur schneller die Stufe seiner Inkompetenz.
Aufstiegsversessenheit und –rezepte
Peter beobachtet ein merkwürdiges Phänomen: kaum ein Beschäftigter ist zufrieden damit, auf seiner Stufe der Kompetenz zu verharren. Er ist versessen darauf, eine Aufgabe zu übernehmen, die seine Fähigkeiten übersteigt. Peter gibt eine Reihe von Rezepten, wie man seinen Aufstieg beschleunigen kann, um so schneller die Stufe der Inkompetenz zu erklimmen. Dazu gehören:
1. Protektion
Protektion wird definiert
als die Beziehung eines Beschäftigen - durch Blutsverwandtschaft,
Heirat oder Bekanntschaft - zu einer Person, die in der Hierarchie über
ihm steht. Protektion verschafft man sich durch Gönnerschaft. Ein
Gönner ist eine Person, die in der Hierarchie über einem steht
und zum Aufstieg verhelfen kann. Besser als ein Gönner sind mehrere
Gönner. Neue Gönner sind besser als alte Gönner. Jeder Gönner
braucht aber ein Motiv, das man ihm mit entsprechender Erfindungsgabe verschaffen
sollte.
2. Ehrgeiz
Protektion ist besser als
Ehrgeiz. Ehrgeiz nützt wenig, wenn das Dienstaltersprinzip gilt. Ehrgeiz
äußert sich in einem abnormen Lerneifer und darin, daß
man morgens der erste im Büro ist und abends der letzte (dies führt
zur Beachtung beim Chef, aber zur Verachtung bei den Kollegen).
Diagnose
Peter hat bei ehrgeizigen Personen ein Erfolgssyndrom beobachtet, das man an Nervenzusammenbrüchen, Magengeschwüren und Schlaflosigkeit erkennt. Hierbei kann es sich um ein Pseudo-Erfolgs-Syndrom handeln bei Personen, die noch Karrieresprünge vor sich haben, oder um das sogenannte Endplazierungssyndrom bei Männern, die am Ende ihrer Karriere stehen und die Stufe ihrer Inkompetenz erreicht haben.
Man kann selbst diagnostizieren, indem man sich fragt, ob die betreffende Person überhaupt noch irgendwelche nützliche Arbeit leistet.
Lautet die Anwort
ja: dann hat er seine Stufe der lnkompetenz noch nicht erreicht und leidet am Pseudo-Erfolgs-Syndrom.
nein: dann steht er auf der Stufe der lnkompetenz und hat das Endplazierungssyndrom.
weiß ich nicht: Sie haben Ihre Stufe der Inkompetenz erreicht. Prüfen Sie, an welchen Krankheiten Sie leiden.
Endplazierungsmerkmale
Neben medizinischen Merkmalen
für das Endplazierungssyndrom gibt es aber vor allem auch psychologische.
Wenn man diese kennt, weiß
man sofort, ob ein Vorgesetzter, Kollege oder Mitarbeiter seine Inkompetenzstufe
erreicht hat.
Hier einige Beispiele aus
Peters Sammlung:
Phonophilie
Die krankhafte Neigung,
mehrere Telefone und Gegensprechanlagen besitzen zu müssen und auch
gleichzeitig zu bedienen. Solche Leute sind oft kontaktschwach und versuchen
ihre Schwäche durch solche Aktivitäten zu verdecken.
Papyrophobie
Der Papyrophobe kann kein
Papier auf seinem Schreibtisch leiden. Er erweckt den Eindruck, daß
er alles sofort erledigt. Aber in Wirklichkeit erinnert Papier ihn an Arbeit,
die er haßt.
Papyromanie
Das Gegenteil der Papyrophobie.
Man häuft Berge von Papier auf seinem Schreibtisch und erweckt den
Eindruck, daß man mehr zu tun habe, als jeder andere bewältigen
kann.
Ordnungswahn
Man ordnet Vorgänge
und Akten, anstatt sie zu erledigen. Beschäftigung mit alten Akten
fixiert aber den Blick auf die Vergangenheit anstatt auf die Zukunft.
Tabula-Gigantismus
Das zwanghafte Bemühen,
stets einen größeren Schreibtisch als die Kollegen haben zu
müssen.
Rigor cartis
Das engstirnige Bestreben,
auch den kleinsten Geschäftsvorfall in Richtlinien, Weisungen, Organisations-und
Ablaufdiagramme einreihen zu müssen.
Wanken und Wackeln
Die völlige Unfähigkeit,
überhaupt irgendwelche Entscheidungen treffen zu können. Gewöhnlich
läßt ein solcher Mann alle Probleme ruhen, bis es zu spät
ist, sie sich von selbst erledigen oder ein anderer die Entscheidung trifft.
Structurophilie
Die Structurophilie (Bauwut)
ist die zwanghafte Beschäftigung mit der Planung, dem Bau, der Pflege
und dem Umbau von Gebäuden ohne das geringste Interesse daran, welche
Arbeit in den Gebäuden erledigt wird oder erledigt werden sollte.
Dies sind nur einige Beispiele
für das Endplazierungssyndrom, das Erreichen der Stufe der lnkompetenz.
Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen in Ihrem Betrieb ist ausgeschlossen
und wäre rein zufällig.
Der Unfähigkeitstrieb
Der Unfähigkeitstrieb, der durch das Peter-Prinzip erklärt wird, ist nicht nur ein individuelles Problem, son-dern auch ein solches der gesamten Menschheitsgeschichte. Nicht nur der einzelne entwickelt sich weiter, bis er die Stufe seiner Inkompetenz erreicht hat, sondern auch die gesamte Menschheit: Der Steinzeitmensch wurde zum Menschen der Bronzezeit, der Eisenzeit, der Technik, der Computer, der Weltraumfahrt. Wann erreicht er seine Stufe der Inkompentenz und - wichtiger noch - wird er sie erkennen?
Jede Regierung - so Peter – gleichgültig, ob demokratisch oder diktatorisch, kommunistisch oder westlich, muß zusammenbrechen, wenn ihre Hierarchie einen unerträglichen Reifegrad erreicht hat. Peters Formel dafür lautet:
Die Effizienz einer Hierarchie ist umgekehrt proportional zu ihrem Reifequotienten RQ:
RQ = Anzahl der Beschäftigten im
Zustand der lnkompetenz x 100 /
Gesamtzahl der Beschäftigten in der Hierarchie
Wenn der Reifequotient 100
erreicht ist, kann offensichtlich überhaupt keine sinnvolle Arbeit
mehr geleistet werden.
Die schöpferische Unfähigkeit
Das Peter-Prinzip wäre eine Philosophie der Verzweiflung, wenn es uns keinen Ausweg weisen könnte aus dem Dilemma, daß jedermann eines Tages die Stufe seiner Inkompetenz erreichen wird. Wie läßt sich das vermeiden? Schon ein altes Sprichwort zeigt einen Ausweg. Peter zitiert das bekannte Wort vom Schuster, der bei seinen Leisten bleiben soll als eine deutliche Warnung an den Schustergesellen, sich vor der Beförderung zum Abteilungsleiter in der Schuhfabrik zu hüten. Die Hand, die geschickt mit Ahle und Hammer umgeht, kann versagen, wenn sie den Hammer mit dem Kugelschreiber vertauscht und Lieferfristen und Arbeitspläne bearbeiten soll.
Am einfachsten wäre also die Abwehr einer Beförderung. Aber wer kann das schon. Man handelt sich dafür nur den Ärger der Ehefrau und den Spott der Kollegen ein. Man kann aber auf subtilere Art die Beförderung vermeiden. Peter nennt das einen Akt der schöpferischen Unfähigkeit. Die Regel heißt:: Verbreiten Sie den Eindruck, daß Sie Ihre Stufe der Unfähigkeit schon erreicht haben!
Schöpferische Unfähigkeit erreicht die besten Resultate dann, wenn Sie den Bereich der lnkompetenz so wählen, daß Sie bei der Erledigung der wichtigsten Aufgaben, die sich aus Ihrer gegenwärtigen Stellung ergeben, nicht ernsthaft behindert werden. Oder mit anderen Worten: Tue nie soviel, wie Du glaubst, tun zu können . Peter nennt noch andere Beispiele, um Beförderungen vermeiden zu können: Man parke stets auf dem Parkplatz des Chefs und fahre dabei möglichst eine alte Klapperkiste. Man gehe nicht so oft zum Friseur und trage ein wenig schäbige Kleidung. Man mache dann der Tochter des Chefs einen Heiratsantrag, auch wenn man sie noch nie vorher gesehen hat.
Aber der beste Weg, die letzte
Beförderung zu vermeiden. ist die schöpferische Unfähigkeit.
Sie ist der Schlüssel zu Glück und Erfolg im Beruf und Privatleben.
Dabei ist aber sehr wichtig, daß man niemals zeigt, daß man
die Beförderung vermeiden will.
Fazit:
Das Peter-Prinzip bietet - verpackt
in satirischer und ironischer Form - Erkenntnisse, die durch viele Beobachtungen
in der Praxis erhärtet sind. Ausgangspunkt aller Unfähigkeit
ist eine falsche Beförderung. Jeder sollte sich deshalb selbstkritischer
prüfen, ob er eine neue Position auch wirklich ausfüllen kann,
bevor er sie annimmt. Das gleiche gilt umgekehrt für alle Vorgesetzten,
die Mitarbeiter befördern.
Aus : Management-Wissen August 1977 Seite 6 – 10 (Mitarbeiterführung)
Literaturempfehlung:
Peter & Hull: Das
Peter-Prinzip. Rowohlt Taschenbuch-Verlag, rororo Sachbuch Nr. 6793.
Peter: Das Peter-Programm.
Rowohlt-Verlag, Hamburg.
(... bleibt die Frage was Peter heute mehr als zwei Jahrzehnte später zu den Handy's eingefallen wäre.)
... bleibt die Frage was Peter heute mehr als drei Jahrzehnte später zu den Handy's eingefallen wäre.